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Expidition zum Nierenpol

Aktualisiert: 7. Feb.

Kurzgeschichte


Bin ich wirklich so tief gesunken? Bis tief in den Analkanal! Auf Gondeln unter Sternenhimmel und

Halbmonden. Nicht in dieser Zone. Wenn der Druck zu groß wird, lasse ich alles fallen. Einfach

lockerlassen und Ballast abwerfen. Da ließ mich die weiße Linie am Horizont denken, der Ausblick

sollte besser werden. Wann in meinem Leben habe ich das letzte Mal keinen Ausweg gesehen, so

wie jetzt? Ich kann keinen Halt finden. Säulen ebnen mir den Weg. Buchten vor Schleim nur so

triefend dazwischen. Wenn Gase für den Treibhauseffekt verantwortlich gemacht werden können,

dann diese! Diese Sache stinkt bis zum Himmel. Ich halte mich fest an dieser Falte in der Wand an.

Da sind noch zwei andere. Ich klettere weiter nach oben. Mir kommt vor, als wäre es hier noch

finsterer. Ich wünschte, jemand könnte Licht in mein Dunkel bringen. Wie Erde mit viel Wasser, wie

Steine mit Schleimhülle, braun und dunkel. Risse in der Wand. Ich stehe an, hier geht es nicht weiter

für mich. Der Weg ist verstopft. Ein Wind kommt auf, er wird immer stärker. Mir bleibt die Luft weg.

Ich wollte diese Wand nie berühren, aber nicht einmal fest an die Wand pressen kann mich vor

diesem Sturm bewahren. Ich muss loslassen! Der Windstrom packt mich und reißt mich hinfort.

Gleißende Lichtstrahlen. Ich muss blinzeln. Wie soll es jetzt weiter gehen? Um mich herum eine

Landschaft die in grauen, trockenen Falten ihre Kreise zieht. Nach oben hin scheint alles nur noch

enger zu werden, sogar richtig finster. Ich habe schon gar keine Lust mehr, mich den dunklen Seiten

des Lebens zuzuwenden. Der Weg an der Schattenseite entlang wirkt schon freundlicher. Geradlinig

an der Unterseite und mit klarem Ziel vor Augen. Ich kann die Hügel in der Ferne sehen. Als wäre

dieser Weg unbeschwert, so wirkt es. Die Hügel wirken weich und rund. Richtig einladend. Sie

werden mir den Weg zum Nierenpol weisen. Nicht nur weich, ein eiformiges Hügelland. Durch die

Dellen und Einfaltungen gestaltet sich das Erklimmen ganz einfach. Die Orchideen um mich herum

erhellen mein Gemüt. Dieser Gipfel gefällt mir besonders gut. Viel länglicher als der Hügel davor.

Oben fest verwachsen mit seinem Ursprung. Hah, an der Spitze ist ein Loch! Ich wusste es, nicht

umsonst habe ich für diese Etappe die Latte so hoch gelegt. Die Spitze ist rund und kugelig, in der

sich der Höhleneingang befindet. Sie wird mich zum Nierenpol leiten, ich werde es beweisen. Die

Fackel in meiner Hand ist heiß, ich muss mich niederknien um das Feuer ausblasen. Dunkelheit. Es

scheint, als wäre dieser Tunnel endloslang. Steil bergauf geht es hier, mein Hals ist schon ganz steif.

Meine Beine fühlen sich an, wie schlaffe Schwämme. Der Knick im Gang kommt mir zugute. Ich

mache eine Pause und kann mich ein bisschen entspannen. Wurde ich gerade angetropft? Ich fühle

mich, als hätte mich ein Schwall Wasser übermannt. “Sauer macht lustig, aber süß macht schnell!”

Ich bin wohl nicht alleine hier. Woher kommen diese Stimmen. Als würden Millionen von Männern

auf mich zukommen. Immer näher und näher. Wieviel Zucker müsste ich in meiner Körperflüssigkeit

führen, um mit diesem Tempo mithalten zu können? Der Gang erwacht zum Leben. Die Wände

fühlen sich hart an, alles pulsiert und leuchtet rot. Die Männer tragen weiße Helme und lange

Peitschen weit unter ihrem Hals. Sie reißen mich mit. Ich fühlte mich schon so nah! Schnell und in

flüssigen Bewegungen ergieße ich mich mit ihnen aus der Öffnung des Tunnels. Nierenpol, ich

komme!

Wo bleibt denn diesmal das Tageslicht? Ich fühle mich, als wäre ich in einem Feuchtgebiet. Es riecht,

wie in einer Molkerei. Alles ist warm und nass. Ein Stoß von unten. Was war das? Mein Mund wird

an die Decke gedrückt. Wenn das meine Mutter wüsste. Schmerzen habe ich keine, alles ist hier

locker und weich um mich herum. So fühlt sich Pudding an. Wäre ich gerade nicht komplett verloren,

könnte ich diesen Akt vielleicht genießen. Die harten Stöße sind verklungen. Die Männer sind noch

immer da. Sie sind mir gefolgt. Sie scheinen allerdings ein anderes Ziel zu verfolgen. Sie wissen

bestimmt, wie ich den Nierenpol erreichen kann. Sie schwimmen mir davon, ich laufe hinterher und

frage nach dem Weg. “Vorne an der Kreuzung links oder rechts bis ans Ende des Röhrentunnels und

durch das kleine Loch in die Bauchhöhle. Sie ist überall mit Fell ausgekleidet, mit dem eines

Raubtiers, nimm Dich in Acht! Ein einziges Labyrinth, in dem riesige Schlangen leben. Manche von

ihnen stehen sogar unter Strom. Wenn Du Dich immer weiter nach oben arbeitest und den Mut hast,

in die Tiefe zu gehen, wird das Fell immer weniger. Einiges wirst Du dort zu verdauen haben. Dort an

der Spitze, in der hintersten Höhle wirst Du den Nierenpol finden. Ich muss weiter, meine Frau im

Nebengang springt schon vor Freude und in einem Tag ist sie schon wieder weg. Gute Reise!”, mit

diesen Worten macht er sich davon, immerhin will er vor den anderen ankommen. Ich bin alleine

und trotzdem fühle ich mich geborgen. Hier ist alles warm und ich fühle mich wie mütterlich

umsorgt. Wäre ich auf der Suche nach einer neuen Heimat, hier würde ich mich einnisten. Der weiße

Mann hatte recht! Ich befinde mich an einer Weggabelung. Ist es tatsächlich egal, ob ich links oder

rechts bin? Mein Herz habe ich am rechten Fleck und obwohl ich gerne ab durch die Mitte würde,

nehme ich den linken Ausweg. Diese Röhre scheint ihren eigenen Zyklus zu leben. Die Fortsätze an

den Wänden flimmern hell, das Ende des Tunnels klafft mir finster entgegen. Die langen Wimpern

tragen mich bis in die Dunkelheit hinein.

“Zieh Dich warm an!”, hat er gesagt. Verloren fühle mich. Hier brauche ich ein dickes Fell. Alles ist

düster. Die Welt um mich wirkt festgefahren und verwachsen. Geräusche kommen wie in Wellen.

Schlangen überall um mich herum. Lange Schlangen, dicke Schlangen und tatsächlich - manche

scheinen Strom zu führen. Eine dieser Kriechtiere windet sich um ein aufsteigendes langes Kabel.

Das Kabel zieht dahin, wo ich diese gemütliche Höhle von vorhin vermute. Dieses Gefühl im

Unterbauch flutet noch immer warm und weich meinen Körper. Dieser Weg muss einfach richtig

sein. Das Gute pflanzt sich fort. Der Weg ist beschwerlich, aber diese Leitlinie weist mir den Weg.

Das Dröhnen in meinen Ohren wird lauter. Ein pochender Schmerz in meiner Brust. Ich muss Pause

machen. Die Umgebung hat sich nicht verändert. Es scheint, als ginge es hier nicht weiter. Die

Situation ist aussichtslos. Um mich herum nur überall dieses weiße Fell und zwei riesige Säulen. In

einer davon gehen Dinge vor sich, die meinen pochenden Kopfschmerz rhythmisch wiederkommen

lassen. Als würde das Geräusch eines Kraftwerks vertont, dem das ganze System zugrunde liegt. Ich

möchte dennoch hinhören, vielleicht kommt es genau darauf an. Hinzusehen, wo es hässlich ist,

hinzuhören, wo es weh tut und hinzugehen, wo es dunkel ist. Tatsächlich! Ich entdecke die absolut

dunkelste Ecke in dieser endlosen Hügellandschaft. Als ich mich ihr nähere, sehe ich ein grellgrünes

Funkeln. Es wird immer noch finsterer. Ich fühle mich, als würde mir etwas entgegen laufen! Oder

rollen doch Steine auf mich zu? Alles wird grün! In meinem Mund schmeckt alles bitter. Ich muss

spucken. Ich blicke auf und kann meinen Augen nicht trauen! Ich sehe sie! Die Pyramiden, ich kann

sie in der Ferne erkennen. „Am Fuße des Nierenpols, hinter dem kleinen Wasserbecken werden sie

Dir den Weg weisen“ Ich erinnere mich, Ich fühle mich wie unter Strom, ja richtig aktiviert, ich weiß,

ich kann alles schaffen! Wie berauscht und glücklich sprinte ich los. Ich weiß, ich werde erst müde,

wenn ich oben angekommen bin.

Wasser! Ich brauche Wasser! Auf den Flüssigkeitshaushalt hätte ich wohl auch im Glücksrausch

achten sollen. Der gesamte Stress der letzten Etappen fällt von mir ab. Endlich kann ich meinen

Mann stehen. Der Nierenpol als tiefster Punkt der Höhle wurde zu meinem Glücksmoment. Ist es

das, was mich diese Reise lehren sollte? Die Dunkelheit sucht mich nicht heim, um mich zu

verschlingen. Sogar die Würgeschlangen konnten mir meinen Weg weisen. In meiner Umgebung

eingebettet, in mir wohnend und in wohliger Wärme schlummernd bin ich nicht alleine und alles ist

eins. So, und nur so konnte ich den Nierenpol erreichen. Diesen Tiefgang werde ich nie vergessen.

 
 
 

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